Von Banff geht es nun via Icefield Parkway nach Jasper: Banff liegt hinter uns und damit auch all die Eindrücke, die nicht nur unseren typisch deutschen Blick auf die von uns Indianer genannten First Nations ein wenig entromantisiert haben – weg von Winnetou und hin zu eher realistischen Naturmenschen, die den weißen Mann verständlicherweise auch heute noch als Eindringling in ihr ureigenes Land betrachten.
Doch heute liegt eine Reiseabschnitt vor uns, der Großes für die Touristenseele erwarten lässt. Die Fahrt von Banff über den Icefield Parkway mit einem Stopp am Columbia Icefield Discovery Centre hin nach Jasper.
Wir verabschieden uns also von Banff und nehmen mit unserem RV (Recreation Vehicle) Fahrt auf. Rechts, links, vor und hinter uns, überall Natur pur; und zwar in Dimensionen, die man aus Mitteleuropa noch nicht mal aus dem Schwarzwald oder den Alpen kennt. Es ist alles größer. breiter und irgendwann auch kälter. Im Winter sind hier Temperaturen um die Minus 40 Grad nicht allzu selten.
Nach ca. einer Dreiviertelstunde ist es dann soweit – wir erblicken das, was der deutsche Fernsehzuschauer immer als unmögliche Farben und „Das ist doch nachbearbeitet!“ abtut. Lake Louise, der Gletschersee mit dem unwirklich türkisfarbenen Wasser, das man gesehen haben muss, um es glauben zu können. Sollte man das unvorstellbare Glück haben und den See ohne tausende Touristen, die von hunderten Bussen ausgespuckt werden, sehen zu können, dann geht von diesem Ort eine kaum vorstellbare Ruhe aus. Selbst wenn wie an einem normalen Tag der Parkplatz voll und die ersten hundert Meter Seepromenade dickt bevölkert sind, hat man eine gute Chance auf Erholung, wenn man einfach rechts oder links um den See herum läuft. Keine zehn Minuten und man ist fast alleine. Denn kaum ein Pauschaltourist, der mit dem Bus hierher gekarrt wird, hat die Zeit, sich so weit ins „Hinterland“ zu wagen, um dem Strom der Besucher zu entrinnen.
Wer es dann tatsächlich geschafft und für eine halbe Stunde Ruhe und Erholung von den Massen gefunden hat, der sollte sich bei gutem Wetter unbedingt einen Kaffee und vielleicht sogar ein Stückchen Kuchen auf der Sonnenterrasse des Fairmont Chateau Lake Louise Hotel gönnen. Das ist eventuell nicht der billigste Kaffee auf unserer Reise durch Kanadas Westen, aber die Aussicht ist den Preis einfach wert.
Doch nun wollen wir die anderen zigtausend Reisenden auch zum Zuge kommen lassen und wenden uns zum Gehen… bzw. zum Fahren. Denn auf uns wartet heute noch das Columbia Icefield Discovery Centre. Dorthin geht es über den Icefield Parkway, den es in regenfreiem Zustand zu befahren gilt. Die Aussichten sind einfach wunderschön. Sollte es beim ersten Befahren regnerisch oder bewölkt sein, gönnt Euch einen zweiten Tag und fahrt die Strecke ein zweites Mal bei Sonnenschein. Ihr werdet es nicht bereuen. Hier kann man Kanadas Größe, Weite und Schönheit am eigenen Leib erfahren.
Auf langen, schier endlos wirkenden Straßen, die sich nur kaum merklich in langgezogenen Kurven verlieren, gleitet das Wohnmobil dahin, die Landschaft mit ihren steilen Bergwänden, schneeweißen Gipfeln und unwirklich türkis anheimelnden Flüssen zieht vorüber. Man fühlt sich in einem Film, einer Naturdokumentation, einem Zusammenschnitt der „best-of-nature“… und doch ist es echt, hier und jetzt. Das sollte man aufmerksam genießen. Aber trotz all der Begeisterung darf auf gar keinen Fall die„bewegliche Natur“ außer Acht gelassen waren. Denn wie aus dem Nichts kann ein strammer Zwölfender auf der Straße auftauchen. Genau wie eine Herde Bergziegen, die ausdauernd und genüsslich das Salz von der Straße lecken und auch der hiesige König des Tierreichs ist kein unwahrscheinlicher Besucher auf dieser Strecke. Der Braunbär – ab Frühsommer auch gerne in Begleitung seines Nachwuchses, und dann besonders darauf erpicht, die Nähe des Menschen zu meiden.
Doch nun erreichen wir endlich das Discovery Centre, wo der Athabasca-Gletscher vor gar nicht allzu langer Zeit noch sozusagen quer über die Straße reichte, bis hin zum heutigen barrierefreien Weg hoch in das Touristenzentrum, wo man für gar nicht mal so kleines Geld alle möglichen und unmöglichen Dinge des Tourismus-Merchandising erwerben kann. Durch die klimatische Erwärmung hat sich der Gletscher in den letzten 125 Jahren um 1,5 km zurückgezogen und mehr als die Hälfte seines Volumens verloren. Seit seiner Eröffnung im Jahr 1940 hat dieser Aussichtspunkt zig Millionen an Touristen angezogen. Die Aussicht ist wirklich einmalig und der Drang, sich mit einem der leicht dystopisch erscheinenden Vehikel auf den Gletscher bringen zu lassen, um auch ein Mal seinen Fuß auf einen echten Gletscher setzen zu können, ist verständlicherweise mehr als nur groß. Auch ich habe das bei meinem ersten Besuch vor nun mehr 25 Jahren getan.
Im Rückblick war es keine clevere Idee. Abgesehen von dem lange nicht so beeindruckenden Erlebnis, habe auch ich meinen Fußabdruck im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Berg hinterlassen, habe dazu beitragen, dass der Gletscher immer mehr verdreckt und deshalb immer schneller schmilzt, was dem Klima nachweislich schadet. Ich empfehle daher: schaut Euch den Gletscher vom Tourist-Center aus an. Setzt Euch mit einer Tasse Kaffee, Tee oder heißer Schokolade auf die Sonnenterrasse und genießt das Gefühl, ein wenig für unseren Planeten getan zu haben. Und glaubt mir: So toll ist es da oben wirklich nicht (siehe Foto oben!).
Eine andere Art von Attraktion, über deren echte Notwendigkeit man bestimmt auch streiten kann und deren Umweltverträglichkeit auch in Frage gestellt wurde, die aber auf Dauer gesehen wohl deutlich weniger Natur zerstören wird und doch einen gewissen Kitzel auslöst und damit des Menschen Drang nach Abenteuer befriedigt, ist der „Columbia Icefield Skywalk“. Seit 2014 kann man sich via Busshuttle vom Discovery Centre aus für umgerechnet 16 € zu einer Mutprobe der besonderen Art chauffieren lassen.
Eine Aussichtsplattform mit Glasboden ragt in 280 Metern Höhe über das Sunwapta Valley hinaus und ermöglicht imposante Erkenntnisse über die gewaltige Macht der Gletscher. Der Glacier Skywalk bietet Ihnen einen Logenplatz, um Mutter Natur von ihrer großartigsten Seite zu erleben: von den eisbedeckten Berggipfeln bis hin zu den weiten, gletschergeformten Tälern.
Mit dem Bus wieder zurück zum Parkplatz und los geht es zur letzten Etappe des Tages: Wir fahren Richtung Jasper. Dort werden wir auf dem sicherheitshalber vorreservierten Campground Jasper Gates Resort & Campground übernachten. Die Fahrt dorthin wird ein weiteres optisches Highlight werden. Da der Weg von Schnee bedeckten Bergen und immer wieder am Straßenrand auftauchendem Wild gesäumt ist, vergeht die Fahrzeit wie im Wind und nach einem wunderschönen, aber auch anstrengenden Tag genießt man die wohlige Wärme des Abendessens sowie ein Gutenacht-Bier, bevor man völlig erschlagen von den Eindrücken des Tages in sein Bett sinkt. Morgen geht es weiter.
Blick auf Jasper im Abendrot